Jessica Tatti
MdB
Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Schulden beim Jobcenter“ (BT-Drs. 20/4272) von Jessica Tatti u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Hintergrund:

Viele Menschen, die Arbeitslosengeld-II-Leistungen beziehen, schaffen es kaum, ihren laufenden Lebensunterhalt mit den Regelbedarfen zu decken. Ein Zustand, der sich durch die Inflation drastisch verschärft. Da der Regelbedarf oft nicht ausreicht, notwendige Anschaf-fungen wie z.B. eine Waschmaschine zu bezahlen, haben die Jobcenter die Möglichkeit, auf Antrag der Betroffen hin Darlehen zu gewähren. Dass hier Handlungsbedarf besteht, zeigt auch die Zusage der Bundesregierung an die Bundesländer, dass sie prüft, „ob und inwieweit die Einführung eines zusätzlichen einmaligen Bedarfs für die An-schaffung energieeffizienter Haushaltsgroßgeräte, wie zum Beispiel Kühlschränke und Waschmaschinen („Weiße Ware“), möglich ist.“ (Protokollerklärung, https://dserver.bundestag.de/btp/20/20071.pdf, S. 8353f).

Schulden beim Jobcenter werden in der Regel im laufenden Bezug „aufgerechnet“, also in Raten von 10 Prozent vom Regelbedarf einbehalten und dadurch schrittweise getilgt oder von den Jobcentern an das Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit zur eintreibung abgegeben. Neben Darlehen können Schulden beim Jobcenter auch durch die Rückforderungen von Leistungen entstehen, z.B. nach Sonderzahlungen wegen geleisteten Überstunden beim Bezug von ergänzenden Leistungen. Betroffene berichten, dass der Brief mit der Rückforderung eine böse Überraschung sei, da sie nicht mit den Verwaltungsprozessen im SGB II vertraut seien und davon ausgegangen waren, dass die ursprünglichen Zahlungen abschließend gelten.

Die Ergebnisse aus der Antwort (BT-Drs. 20/4987)der Kleinen Anfrage (BT-Drs. 20/4272) im Überblick:

Es ist etwas erschreckend, dass genau gesagt werden, wie viele Bedarfsgemeinschaften wie viele Sanktionen bekommen, jedoch keine bundesweite Zahlen verfügbar sind, wie viele Menschen im Bezug von Leistungen der Grundsicherung Schulden beim Jobcenter haben. Dies sei nicht möglich, da nur Daten aus rund 3 Viertel aller Jobcenter vorliegen, der 302 Jobcenter in gemeinsamen Einrichtungen zwischen Kommune und der Bundesagentur für Arbeit („Jobcenter (gE)“). Über das restliche Viertel der Jobcenter in kommunaler Verantwortung („Jobcenter (zkT)“) lägen keine Daten vor. Aber auch für die JC (gE) ist es schwer, in Bezug auf Schulden beim Jobcenter ein klares Bild zu gewinnen:

  • Bei den Jobcentern (gE) gab es in 2021 rund 766.000 Personen in 578.000 Bedarfsgemeinschaften, die im laufenden Jahr eine Rückforderung von ihrem Jobcenter erhielten, im Durchschnitt betrug diese Rückforderung 524 Euro/Person. Die Anzahl der von neuen Rückforderungen belasteten Personen sank im Vergleich zu 2019, stieg jedoch im Vergleich zu 2021, während die Durchschnittsforderung anstieg (+ 11,5 % zum Vorjahr). Die Gründe für die Rückforderungen sind zu 19 Prozent Überzahlungen nach Arbeitsaufnahme, jedoch sind die meisten Gründe (rund 70 %) unter „Sonstiges“ verzeichnet.
  • Bei den Jobcentern (gE) gab es in 2021 rund 346.000 Darlehen, im Durchschnitt betrug dieses 570 Euro. Die Anzahl der neuen Darlehen belasteten Personen sank im Vergleich zu den Vorjahren, während die Durchschnittshöhe der Darlehen stieg (+ 12,9 Prozent zum Vorjahr). Die häufigsten Gründe für Darlehen waren Mietkautionen (52 % aller Darlehen).
  • Gegen rund 20.000 Beziehende von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden jährlich SGB II-spezifische Bußgelder verhängt (Höhe knapp 150 Euro/Schnitt). Bußgelder können verhängt werden, wenn fahrlässig oder vorsätzlich Tatsachen nicht mitgeteilt werden, die etwa zu einer Überzahlung von Leistungen führen. Die Anzahl zeigt im Vergleich zur Masse an Rückforderungsbescheiden (rd. 1,1 – 1,3 Millionen Rückforderungsbescheide im Jahr, nur Jobcenter (gE)), dass schuldhaftes Verhalten keine häufige Ursache für Rückforderungen sein kann (oder dies nicht verfolgt wird).
  • Bestehen Rückforderungen bzw. Darlehen, kann das Jobcenter entscheiden, ob diese Schulden aufgerechnet werden, also automatisch in Höhe von 10 Prozent der Regelleistungen vom Hartz IV-Auszahlungsbetrag einbehalten werden, oder ob mit dem Forderungsmanagement das Inkasso-Service der Bundesagentur für Arbeit beauftragt wird (299 Jobcenter (gE) haben diese Dienstleistung beauftragt, die Antwort zu den Kosten blieben unbeantwortet). Welcher Weg gewählt wird, hänge davon ab, zu welchem Ergebnis das „pflichtgemäße Ermessen“ der jeweiligen Jobcenter kämen.
    In Bezug auf die Jobcenter (gE) wurden in 2021 bei rund 829.000 Rückforderungen aufgerechnet, während vom Inkasso-Service rund 3,6 Millionen Rückforderungen betrieben wurden.

Mein Kommentar zu den Ergebnissen:

Der Hartz IV-Satz wird künstlich kleingerechnet und reicht kaum fürs Leben aus. Ganz deutlich wird das, wenn unvorhergesehene oder größere Ausgaben fällig werden: wenn die Waschmaschine kaputt geht, wenn beim Umzug eine Kaution fällig wird oder auch nur, wenn für einen neuen ausländischen Pass weit über hundert Euro fällig werden. Hier bleibt vielen nur der schwere Bittgang zum Jobcenter. Wenn ein Darlehen gegeben wird, muss dieses in Raten wieder vom Existenzminimum abgestottert werden. Folge ist ein dauerhaftes Leben unterm Existenzminimum. Das ist unzumutbar für die Betroffenen und zudem ein riesen Verwaltungsaufwand für die Jobcenter.

Was hilft: Die Regelbedarfe müssen endlich bedarfsdeckend neu berechnet werden. DIE LINKE fordert einen monatlichen Zuschlag von 200 Euro, bis ein neuer Regelsatz steht. Zudem müssen Stromkosten und die Minipauschalen für seltene, aber teure Anschaffungen wie Waschmaschinen und Kühlschränke endlich raus aus dem Regelsatz. Das muss im Bedarfsfall in realistischer Höhe übernommen werden. Die Prüfung eines Zuschlags für „Weiße Ware“ braucht allerhöchste Priorität, die Bundesregierung steht hier im Wort!

Die Regierung darf die Jobcenter nicht weiterhin zum Kleinstkreditgeber für Notleidende machen, der viel zu viel Zeit und Energie darauf verwenden muss, Menschen am Existenzminimum monatliche Kreditraten abzupressen. Das geht so nicht weiter. Hier besteht wirklich noch ein riesen Reformbedarf, denn beim Bürgergeld wird das einfach weg ignoriert.

Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

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