Jessica Tatti
MdB
Auswertung der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 20/8316) auf die Kleine Anfrage „Gesunde Ernährung in der Grundsicherung“ (BT-Drs. 20/7886) von Jessica Tatti u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Hintergrund:

2019 trat das „Teilhabechancengesetz“ in Kraft und mit ihm der neue Lohnkostenzuschuss nach § 16i SGB II („Teilhabe am Arbeitsmarkt“). Zudem wurde das bestehende Instrument „Eingliederung von Langzeitarbeitslosen“ nach § 16e SGB II reformiert (Kurzbeschreibung siehe Seite 11). Vor der Einführung dieser neuen bzw. veränderten Instrumente hatte Bundesmister Heil angekündigt, auf diese Weise für bis zu 150.000 Langzeitarbeitslose jeweils bis zu fünf Jahre geförderte Arbeitsplätze schaffen zu wollen. Die beiden Instrumente lösten ältere Instrumente bzw. auslaufende Sonderprogramme ab.

Die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (kurz: TamA) richtet sich an erwerbsfähige Leistungsbeziehende im SGB II, die seit mindestens 6/7 Jahren im Leistungsbezug sind. Arbeitgeber können für bis zu fünf Jahre einen Lohnkostenzuschuss erhalten: in den ersten beiden Jahren zu 100 Prozent, im 3. Jahr mit 90, im 4. mit 80 und im 5. Jahr mit 70 Prozent der Lohnsumme (jeweils inklusive Lohnnebenkosten). TamA knüpft bezüglich Ziele und Zielgruppe an Ende 2018 auslaufende Sonderprogramme an. Neu ist an TamA, dass die Kosten für die Förderung nicht voll aus dem Budget für Eingliederung kommen, sondern teils durch einen „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT) gegenfinanziert werden können, also aus eingesparten Ausgaben für die Regelbedarfe im Arbeitslosengeld II. Mit dem Bürgergeld-Gesetz 2022 wurde das Instrument entfristet, aber nicht mit mehr Mitteln im Eingliederungshaushalt ausgestattet (siehe Vortext Kleine Anfrage). Zudem wurden die PAT-Pauschalen zum 01.01.2023 deutlich erhöht, so dass bei gleicher Förderzahl mehr Mittel aus dem Bürgergeld-Haushaltstitel in den Eingliederungstitel umgeschichtet werden können (vgl. https://www.sgb2.info/DE/Service/Meldungen/pauschalenerh%C3%B6hung-f%C3%BCr-pat.html;jsessionid=1BCE5DBEEBC5D5393BB0694367A838F8)

Die führt frühere Anfragen fort, die Jessica Tatti zur Einführung und Entwicklung des Sozialen Arbeitsmarkts stellte (2019: 19/10320, 2020: 19/30708, 2021: 20/2520).

Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 20/8316) auf die Kleine Anfrage (BT-Drs. 20/7886) im Überblick:

Die Dynamik der Instrumente zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit hat in 2022 nicht nur abgenommen, sondern sich ins Gegenteil verkehrt: Es werden weniger Menschen neu in die Förderungen aufgenommen, als daraus ausscheiden.
Die Nutzung der Arbeitgeberzuschüsse nach § 16e SGB II blieben nach der Reform in 2019 zunächst weitegehend stabil bei rund 10.000 Bestandsförderungen, danach sanken die Zahlen kontinuierlich deutlich auf nur noch 6.500 deutschlandweit ab (BA-Arbeitsmarktbe-richt Juli 2023, Tabelle 7.3). Dieses Instrument wurde nicht weiter abgefragt. Im Weiteren geht es nur noch um das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TamA nach § 16i SGB II):

  • Die Anzahl geförderter Personen lag 2020 weitgehend stabil zwischen 40. und 43.000 Personen. Seitdem nahm die Zahl langsam, aber kontinuierlich auf 38.000 (August 2023) ab (Frage 1). Für jede wegfallende geförderte Stelle wurde nur noch weniger als eine Neuförderung bewilligt (Frage 10). Wenn vorzeitig beendet wurde (rund 50 % aller Fälle), dann überwiegend wegen einer Kündigung durch den Arbeitgeber (Fragen 11, 18). Auch unter Berücksichtigung der Arbeitslosenzahlen steigt die Nutzung des Instruments in Bezug auf alle Hartz IV-Beziehenden nicht an, sondern sinkt in der Tendenz weiter (Fr. 4).
    Insgesamt plant die BA, dass die Anzahl neu geförderter Stellen in 2023 auf nur noch rund 6.000 Stellen sinken soll (2020: 17.000, 2021: 12.000, 2022: 10.000) (Fragen 2, 19). Über 60 Prozent der neubewilligten Förderungen laufen maximal bis zu 2 Jahre, rund 20 Prozent 4-5 Jahre. Die Bewilligungsdauer hat damit in 2022 sehr deutliche abgenommen. Die Bewilligung kann dabei ein Mal verlängert werden (Frage 13).
    Im Vergleich zu allen Personen im Leistungsbezug von Alg II sind die Geförderten seltener Ausländer und selterner Frauen, dafür eher über 45 Jahre alt (Frage 5).
    Die Dauer der Wochenarbeitszeit unterscheidet sich zwischen verschiedenen Gruppen: Mütter und Alleinerziehende haben geringere Stundenzahlen und geringere Stundenlöhne, Männer und Väter haben höhere Stundenzahlen, höhere Stundenlöhne und somit deutlich höhere Bruttomonatslöhne. Die unterschiedlichen Stundenlöhne kann die Bundesregierung nicht erklären, auch die Unterschiede bei den Stundenzahlen sei Entscheidung der Jobcenter (Fragen 6-9).
    Wer die Arbeitgeber sind (private Wirtschaft, kommunale Träger, gemeinnützige Träger), kann die Bundesregierung weiterhin nicht beantworten (Frage 12).
  • Das Instrument ist nicht günstig: Je Förderfall entstanden durchschnittliche Kosten in Höhe von rund 1.805 Euro, davon 1.372 Euro im Eingliederungsbudget, rund 433 Euro wurden durch den „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT) aus durch die Förderung „eingesparten“ Alg II-Mitteln zugeschossen (Frage 3, Daten fur 2021, 2022 liege noch nicht voll vor).
    Wie oft und warum der PAT nicht genutzt wird, ist der Bundesregierung nicht bekannt (Frage 14). Die für die TamA angekündigten zusätzlichen Haushaltsmittel wurden in 2018, 2019 und 2020, 2021 und 2022 (vorläufige Zahlen) (Fragen 3, 22, 24) wie folgt tatsächlich ausgegeben:
Jahr Für HH bereite Mittel PAT-Mittel
(max. 700 Mio./Jahr)
Ausgaben
(ohne PAT)
Differenz HH –
Ausgaben ohne PAT
2018 300 Mio. 300 Mio. (-100 %)
2019 900 Mio. 86 Mio. 286 Mio. 614 Mio. (-68 %)
2020 1 Mrd. 195 Mio. 648 Mio. 352 Mio. (-35 %)
2021 1 Mrd. 222 Mio. 703 Mio. 297 Mio. (- 30 %)
2022 800 Mio. 240 Mio. (Fr. 3, 22)

250 Mio. (Frage 24)

679 Mio. (Fr. 3,22)

711 Mio. (Frage 24)

121 Mio. (- 15 %)

89 Mio. (- 11 %)

2018-2022 4 Mrd. Ca. 750 Mio 2,3 Mrd. 1,7 Mrd.
(- 42 bis -43 %)

 

  • Die Bundesregierung zeigt sich im Gegensatz zu früheren Kleinen Anfragen nicht mehr expizit „zufrieden“ mit der Nutzung und Entwicklung des Instruments (vgl. z.B. BT-Drs. 20/2520, Fragen 17, 24), sondern weicht der Frage damit aus, dass die Nutzung in der dezentralen Verantwortung der Jobcenter liege (Fragen 22, 25, 27, 28, 29). Für die Anzahl der geförderten Stellen seien die Jobcenter zuständig, ebenso dafür, ob die Mittel zweckgerecht eingesetzt werden oder für andere Aufgaben (Fragen 25, 27, 28). Die Bundesregierung habe zudem die finanziellen Rahmenbedingungen zur Nutzung des Instruments verbessert, indem sie die Finanzierungspauschalen des PAT deutlich erhöht habe. So könnten bis zu 110 Millionen aus den passiven Mitteln für den Eingliederungs-haushalt aktiviert werden bzw. um diese Summe könne der Eingliederungshaushalt entlastet werden (Frage 29).

Bewertung:

Die Bundesregierung verfehlt deutlich ihr selbstgestecktes Ziel, 150.000 langzeitarbeitslose Menschen durch ihre neuen Instrumente der Lohnkostenförderung in Beschäftigung zu bringen. Aktuell werden mit der Eingliederung für Langzeitarbeitslose rd. 6.500, mit der Teilhabe am Arbeitsmarkt 38.000 Personen gefördert. Diese deutschlandweit rund 45.000 Förderfälle sind weit von der Zielmarke entfernt, vor allem wenn man bedenkt, dass Ende 2017 in Vorläufermaßnahmen fast 35.000 Personen gefördert wurden, also nur gut 10.000 Personen weniger. Kritisiert werden muss zudem, dass die Teilnehmerstruktur sozial nicht ausgewogen ist. Vor allem Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und werden Frauen unterdurchschnittlich gefördert, letztere haben zudem geringere Stundenzahlen, Stunden- wie Monatslöhne. Die Tendenz geht seit 2021 stetig abwärts.

Die Bundesregierung lobt sich für die die neuen Regelinstrumente zur Lohnkostenförderung. Dies erhöhe die Teilhabe von Langzeitarbeitslosen am Arbeitsleben. Daher sei das Instrument mit dem Bürgergeld entfristet worden. Diese positive individuelle Wirkung bestätigt sich in den vorliegenden Evaluationen des Instruments. Umso unverständlicher ist es, dass der Bundeshaushalt für die Eingliederungsleistungen nicht aufgestockt wurde bzw. im Haushaltsentwurf für 2024 (BT-Drs. 20/7800) sogar reduziert wird. Wird mitgedacht, dass der Verwaltungshaushalt der Jobcenter seit Jahren politisch kleingerechnet wird – und damit strukturell Umschichtungen aus den Eingliederungsmitteln in die Jobcenter-Verwaltung erzwungen werden – reduziert sich der tatsächliche Spielraum der Jobcenter für dieses relativ kostenaufwändige Instrument (rd. 1.400 Euro/Monat im Eingliederungshaushalt mit mehrjähriger Bindung von Mitteln) weiter deutlich.

Trotz der vorliegenden Daten lobt sich die Bundesregierung dafür, dass sie vier Milliarden Euro zusätzlich für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit im Zeitraum 2018 – 2022 bereitgestellt habe. Die Zahlen zeigen nun: Nur rund 2,3 Milliarden wurden tatsächlich für diese Leistungen ausgegeben. Der „Rest“, also über 40 Prozent der Mittel, flossen tatsächlich in den allgemeinen Eingliederungs- und Verwaltungshaushalt der Jobcenter, wurden also nicht sachgerecht verwendet. Anstatt Langzeitarbeitslose zu fördern, wurden Lücken im Verwaltungshaushalt der Jobcenter gestopft. Die Bundesregierung weist die Verantwortung dafür von sich. Dies sei in Verantwortung der Jobcenter. Das ist nur rein formal korrekt, ignoriert aber, dass die Verwaltungsmittel strukturell unterfinanziert sind (2022: Fehlbetrag 1 Milliarde, Tendenz 2023: steigend). Die Jobcenter sind real zu den Umschichtungen gezwungen, wollen sie nicht massiv Mitarbeiter entlassen. Die Rückmeldungen von Jobcenter und Trägern zeigen daher: Dieses sinnvolle Instrument wird aufgrund sinkender finanzieller Mittel politisch zerstört.

Mein Kommentar zu den Ergebnissen:

Minister Heil hatte versprochen, 150.000 Langzeitarbeitslose in öffentlich geförderte Arbeit zu bringen. Er scheitert kläglich an seinen eigenen Ansprüchen. Aktuell sind nur 38.000 Menschen im Sozialen Arbeitsmarkt beschäftigt. Mit dem Sparhaushalt werden diese Zahlen weiter massiv gesenkt. Mit dem viel zu gering ausgestatteten Verwaltungsetat zwingt Hubertus Heil die Jobcenter zum tiefen Griff in die Eingliederungsmittel – der Topf, der für den Sozialen Arbeitsmarkt und die Qualifizierung von Arbeitslosen vorgesehen ist. Hubertus Heil kennt dieses Problem, verschlimmert es auf verantwortungslose Weise und lässt den Sozialen Arbeitsmarkt ausbluten. Er entzieht damit den Jobcentern ein erfolgreiches Instrument und nimmt Langzeitarbeitslosen die Chance, wieder in Arbeit zu kommen.

Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

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