Jessica Tatti
MdB
Auswertung der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 20/7638) auf die Kleine Anfrage „Gesunde Ernährung in der Grundsicherung“ (BT-Drs. 20/7227) von Jessica Tatti u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.
Hintergrund:

Aus vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen, unter anderem des Wissenschaftlichen Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz, WBAE, wird deutlich, dass die im Regelbedarf des Bürgergelds (Hartz IV) vorgesehenen Ernährungs-anteile nicht reichen, um Kinder und Jugendliche gesund und ausgewogen zu ernähren (Studien s. Dokumentation der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, WD 5 – 3000 – 143/22, https://www.bundestag.de/resource/blob/930736/004057b9723a130b6b159
b5d8d9fa69a/WD-5-143-22-pdf-data.pdf
): „Eine gesunde Ernährung für Kinder ist mit den Mitteln für Ernährung im ALG II-Bezug nicht finanzierbar.“ (Biesalski: „Ernährungsarmut bei Kindern“, Aktuelle Ernährungsmedizin 2021 (46), Seite 317–332, hier: 319)

Grund dafür ist, dass sich die Methodik der Berechnung der Regelbedarfe in der Grundsicherung nicht am tatsächlichen Bedarf orientiert, sondern an statistischen Durchschnittswerten. Die Behauptung, dass gesunde Ernährung vor allem eine Frage des Wissens und Wollens wäre, geht bei der Grundsicherung an der Realität vorbei – es fehlt bereits am ausreichenden Geld für eine gesundheitserhaltende Ernährung. Daran hat auch die Erhöhung zur Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar dieses Jahres nicht geändert. Die Bundesregierung negiert dieses Problem weiterhin. Selbst auf explizite Nachfragenragen hin (vgl. Kleine Anfragen aus der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 20/3847, 20/4852, S. 95) wurde lieber ein Gutachten des WBAE falsch wiedergegeben, als einen Reformbedarf anzuerkennen. Ausführlich siehe einleitender Text der Kleinen Anfrage.

Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung (BT-Drs. 20/7638) auf die Kleine Anfrage  (BT-Drs. 20/7227) im Überblick:

3 Euro 43 für Kinder unter 5 Jahren, 4,48 Euro für Kinder bis 13, 6,09 Euro für Jugendliche zwischen 14 und 17 und schließlich 4,59 Euro für junge Erwachsene bis 25 Jahre. So wenig ist im Bürgergeld für Essen und Trinken je Tag vorgesehen. Jeder, der einkaufen geht, weiß, dass das nicht reicht, um sich zu ernähren – schon gar, um sich gesund und halbwegs ausgewogen zu verpflegen.

Die Bundesregierung wird in der Kleinen Anfrage mit den sehr ausführlich referierten Kritiken aus ernährungswissenschaftlicher, sozialpolitischer, rechtlicher und verbandlicher Sicht an der Höhe der im Regelbedarf vorgesehenen Ernährungsanteile für Kinder und Jugendliche in der Grundsicherung konfrontiert. Sie hat darauf im wesentlichen nur eine Antwort: Die Eltern seien selbst verantwortlich dafür, wofür sie die Regelbedarfe ausgeben. Das obliege ihrer Einverantwortung und ihren persönlichen Präferenzen (Vorbemerkung, Fragen 3, 4, 5, 7-9, 11, 15 und 16). Praktisch zementiert diese Haltung die Gleichstellung aller Betroffenen in der Mangelernährung. Die Bundesregierung ignoriert, dass die Regelbedarfe keinerlei praktischen Spielraum lassen, umzuverteilen. Alles ist knapp berechnet, viele Waren wurden nach der Berechnung von der Politik gestrichen. Woran soll denn aus Sicht der Regierung gespart werden: an der Hygiene, an Kleidung, an Strom oder Medikamenten?

Die Bundesregierung kennt die zahlreichen Studien. Sie weiß, dass der Ernährungsanteil in der Grundsicherung nicht ausreicht, Kinder gesund zu ernähren. Es drohen Wachstumsstörungen und sogar kognitive Beeinträchtigungen, wenn Kinder aus Geldmangel heraus ungesund ernährt werden. Wenn die Bundesregierung hier nur individuelle Präferenzen sieht, dann drückt sie sich vor ihrer Aufgabe, die Existenzsicherung so zu berechnen und zu gewährleisten, dass sie ein Aufwachen in Gesundheit und Würde erlaubt.

Mein Kommentar zu den Ergebnissen:

Statt endlich eine Kindergrundsicherung einzuführen, die allen Kindern eine gesunde Ernährung ermöglicht, schiebt die Ampel den Eltern im Bürgergeld den Schwarzen Peter zu. Es ist an Zynismus nicht zu überbieten, wenn die Ampel behauptet, die Eltern müssten das Bürgergeld einfach nur so ausgeben, dass es für eine gesunde Ernährung reiche. Die Menschen im Bürgergeld wissen wegen der krassen Preissteigerungen gerade nicht, wie sie ihren Wocheneinkauf noch bezahlen sollen. Sie können nicht einfach woanders sparen, um Vollkornbrötchen beim Bäcker statt Toast im Discounter zu kaufen. Es gibt im Bürgergeld keinen Spielraum für Einsparungen. Die Eltern sind doch froh, wenn sie ihre Kinder irgendwie satt bekommen. Die Bundesregierung muss die Regelbedarfe so anheben, dass Kinder gesund aufwachsen können. Ansonsten beweist die Ampel, dass ihr die Lebensrealitäten armer Familien völlig egal sind.

Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

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