Jessica Tatti
MdB
Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Entwicklung des Regelinstruments zum sozialen Arbeitsmarkt im SGB II, „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ im Jahr 2021 sowie Ausblick auf das aktuelle Jahr“ (BT-Drs. 20/2520) von Jessica Tatti u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Die Ergebnisse der Kleinen Anfrage BT-Drs. 20/2520) im Überblick:

Die Dynamik der Instrumente zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit hat in 2021 weiter abgenommen: Die Nutzung der Arbeitgeberzuschüsse nach § 16e SGB II blieben nach der Reform in 2019 weitegehend stabil bei rund 10.000 Bestandsförderungen, wobei die Zahl zuletzt auf nur noch rund 8.300 deutschlandweit sank (BA-Arbeitsmarktreport Juni 2022, Tabelle 8.1). Dieses Instrument wurde nicht weiter abgefragt. Im Weiteren geht es nur noch um das neue Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (TamA nach § 16i SGB II):

  • Die Anzahl geförderter Personen ist seit Mitte 2020 weitgehend stabil zwischen 40 und 43.000 Personen. Zuletzt nahm die Zahl leicht auf 41.700 (Mai 2022) ab (Fragen 1, 6, 12), für jede wegfallende geförderte Stelle wurde nur noch eine Neuförderung bewilligt. Wenn vorzeitig beendet wurde, dann in der Regel wegen einer Kündigung durch den Arbeitgeber (Fragen 7, 13, 14). Auch unter Berücksichtigung der sinkenden Arbeitslosenzahlen steigt die Nutzung des Instruments in Bezug auf alle Hartz IV-Beziehenden nicht oder nicht nennenswert an (Frage 4).
    Insgesamt plant die BA, dass die Anzahl neu geförderter Stellen auf nur noch rund 8.000 Stellen in 2022 sinken soll (2020: rund 17.000, 2021: rund 12.000) (Fragen 2, 15).
    Im Vergleich zu allen Personen im Leistungsbezug von Alg II sind die Geförderten selterner Frauen, seltener Ausländer, dafür eher über 45 Jahre alt (Frage 5).
    Wer die Arbeitgeber sind (private Wirtschaft, kommunale Träger, gemeinnützige Träger), kann die Bundesregierung nicht beantworten (Frage 8). Mehr als die Hälfte der Neubewilligungen laufen bis zu 2 Jahre, rund 1/3 4-5 Jahre. Die Bewilligung kann dabei ein Mal verlängert werden (Frage 9).
  • Das Instrument ist nicht günstig: Je Förderfall entstanden durchschnittliche Kosten in Höhe von rund 1.760 Euro, davon 1.360 Euro im Eingliederungsbudget, rund 410 Euro wurden durch den „Passiv-Aktiv-Transfer“ (PAT) aus durch die Förderung „eingesparten“ Alg II-Mitteln zugeschossen (Frage 3). Wie oft und warum der PAT nicht genutzt wird, ist der Bundesregierung nicht bekannt (Frage 10). Eine Aufstockung der PAT-Pauschale wird bislang nicht in Betracht gezogen (Frage 21).
    Die Höhe der gebundenen Mittel im Haushalt der Jobcenter durch die TamA nimmt zu (Frage 20) und wird von der BA als Problem bezüglich des weiteren Ausbaus des Instruments gesehen (Frage 24):
    Die für die TamA angekündigten zusätzlichen Haushaltsmittel wurden in 2018, 2019 und 2020 nicht vollständig für die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ausgegeben. Die Zahlen für ganz Deutschland liegen für 2021 noch nicht vor (nur für ¾ der Jobcenter in gemeinsamer Verwaltung von BA und Kommunen) (Fragen 3, 18).

 

Jahr Für HH bereite Mittel PAT-Mittel
(max. 700 Mio./Jahr)
Ausgaben
(ohne PAT)
Differenz HH –
Ausgaben ohne PAT
2018 300 Mio. 0 300 Mio (-100 %)
2019 900 Mio. 86 Mio 286 Mio 614 Mio (-68 %)
2020 1 Mrd. 195 Mio 648 Mio 352 Mio (-35 %)
2021 1 Mrd.      
2022 800 Mio.
(+ 200 Mio aus Globalhaushalt?)
     

Tabelle: Ausgaben „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ 2018 – 2022, Ausgaben für 2019 und 2020 lt. Bundesregierung wahrscheinlich überschätzt, in Prüfung (siehe Vorbemerkung der KA)

  • Die Bundesregierung ist mit Nutzung und Entwicklung des Instruments zufrieden (Fragen 17, 24). Für die Anzahl der geförderten Stellen seien die Jobcenter zuständig, ebenso dafür, ob die Mittel zweckgerecht eingesetzt werden oder für andere Aufgaben (Frage 24). Die Kürzung der im Eingliederungstitel vorgesehenen Mittel für die TamA von 1 Milliarde auf 800 Millionen Euro sei kein Problem, da dafür der Globaltitel SGB II um 200 Millionen Euro erhöht worden sei (Frage 23a). Auf die gestiegenen Kosten etwa durch den höheren Mindestlohn möchte die Regierung nicht eingehen (Frage 23b).

Bewertung:

Die Bundesregierung verfehlt deutlich ihr selbstgestecktes Ziel, 150.000 langzeitarbeitslose Menschen durch ihre neuen Instrumente der Lohnkostenförderung in Beschäftigung zu bringen. Im Mai 2022 wurden mit der Eingliederung für Langzeitarbeitslose rd. 8.400, mit der Teilhabe am Arbeitsmarkt 41.700 Personen gefördert. Diese deutschlandweit gut 50.000 Förderfälle sind weit von der Zielmarke entfernt, vor allem wenn man bedenkt, dass Ende 2017 in den Vorläufermaßnahmen rund 34.400 Personen gefördert wurden, also nur knapp 16.000 Personen weniger. Kritisiert werden muss auch, dass die Teilnehmerstruktur sozial nicht ausgewogen ist. Vor allem Frauen und Menschen mit ausländischer Staatsange-hörigkeit werden unterdurchschnittlich gefördert. Die Tendenz ist seitwärts statt aufwärts.

Gerade für 2020 und 2021 war die Arbeitsmarktlage aufgrund der Corona-Pandemie sehr schwierig. Beide Maßnahmen setzen Arbeitgeber (oder Beschäftigungsträger) voraus, die bereit sind, neu einzustellen. Allerdings muss ebenfalls beachtet werden, dass gerade die „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ in den ersten beiden Beschäftigungsjahren zu 100 Prozent gefördert wird, also für die Arbeitgeber keine Lohnkosten entstehen. Die massiv ansteigende Zahl von Langzeitarbeitslosen während der Corona-Pandemie erhöhte nochmals den Druck auf die Langzeiterwerbslosen im Hartz IV. Nun sinkt die Zahl der Langzeitarbeitslosen wieder – aber langsamer, als sich der Arbeitsmarkt insgesamt erholt. Langzeitarbeitslose bleiben die Ausgeschlossenen des Arbeitsmarkts. Es werden erhebliche Anstrengungen notwendig, diese Förderungen endlich umfangreicher einzusetzen, ggfs. auch unter mehr und noch aktiverer Akquisition von Stellen durch die Jobcenter.

Die Bundesregierung lobt sich für die Möglichkeiten und Chancen durch die neuen Regelinstrumente zur Lohnkostenförderung. Sie lobt sich dafür, dass sie vier Milliarden Euro zusätzlich für die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit im Zeitraum 2018 – 2022 bereitstelle. Allerdings weist die Bundesregierung dann die Verantwortung von sich, ob die Gelder tatsächlich für diesen Zweck ausgegeben werden. Dies sei in Verantwortung der Jobcenter. Die Zahlen für die Aufwendungen in 2019, 2020 – und 2021, soweit aus den Zahlen für rund ¾ der Jobcenter sowie die Entwicklung der Teilnehmerzahlen erkennbar – zeigen, dass die Mittel weiterhin, wenn auch mit steigender Tendenz, nur teilweise in den Instrumenten zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit eingesetzt werden. Selbst in 2022 sollen laut Planungen der Bundesagentur für Arbeit fast 500 Millionen aus dem Einglieder-ungshaushalt in den notorisch unterfinanzierten Verwaltungshaushalt verschoben werden. Auch die nachträglich aufgestockten 200 Millionen für den Globalhaushalt SGB II bedeuten nicht, dass dieses Geld für den Sozialen Arbeitsmarkt eingesetzt wird und damit z.B. steigende Kosten durch den höheren Mindestlohn ausgeglichen werden. Denn Geld fehlt in den Jobcentern an allen Stellen, aktuell vor allem in der Verwaltung in Folge der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter.

Mein Kommentar zu den Ergebnissen:

„Minister Heil hatte versprochen 150.000 Langzeitarbeitslose in öffentlich geförderte Arbeit zu bringen – und scheitert an seinen eigenen Ansprüchen. Wohin sind die Steuergelder geflossen, die dafür zur Verfügung gestellt wurden? Bis 2020 wurde nicht mal die Hälfte der vorgesehenen 2,2 Milliarden Euro für die Förderung von Langzeitarbeitslosen verwendet.

Die Bundesregierung wälzt die Verantwortung dafür auf die Jobcenter ab. Die Jobcenter sind aber nicht verantwortlich für das politische Versagen der Bundesregierung. Längst hätte man die Mittel an ihren Zweck binden müssen. Was die Jobcenter brauchen, ist ein realistisch ausfinanzierter Verwaltungshaushalt, damit sie nicht gezwungen sind, für notweniges Personal die Gelder zu nehmen, die Langzeitarbeitslose in Arbeit bringen sollen. Das ist völlig inakzeptabel. Minister Heil kennt dieses Problem und bleibt tatenlos. Zudem wurden die Mittel für den Sozialen Arbeitsmarkt gekürzt. Anstatt ein gutes Instrument derart ausbluten zu lassen und zugleich in Sonntagsreden damit zu prahlen, sollte Minister Heil den Jobcentern endlich Planungssicherheit geben, Langzeitarbeitslose ernst nehmen und dafür sorgen, deutlich mehr von ihnen in Arbeit zu bringen.“

Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

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