Jessica Tatti
MdB

Vor dem Hintergrund der alarmierenden Meldungen von Bauwirtschaft und Mieterverbänden wollte die Bundestagsabgeordnete Jessica Tatti, Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), von der Bundesregierung wissen, wie sich die Zahl der genehmigten Wohneinheiten in Deutschland entwickelt – insgesamt sowie speziell im Segment des geförderten Mietwohnbaus.

Die Antwort aus dem Bauministerium:„Von Januar bis August 2024 erfasste das Statistische Bundesamt 141.915 Baugenehmigungen, im gleichen Zeitraum der Vorjahre waren es 175.799 (2023), 244.605 (2022), 252.229 (2021) sowie 239.083 (2020).“

Demnach wurden in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres 33.900 Baugenehmigungen weniger erteilt als im Vorjahreszeitraum – ein Rückgang um fast 20 Prozent.
In ihrem Koalitionsvertrag hatte die Ampel den Neubau von jährlich 400.000 Wohneinheiten versprochen, davon 100.000 geförderte Wohnungen.

Dazu Jessica Tatti: „Der dramatische Rückgang der Baugenehmigungen in Deutschland birgt erheblichen sozialen Sprengstoff, der Verteilungskampf um eine preiswerte Wohnung wird vielerorts härter. Die Bundesregierung muss jetzt handeln und die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften massiv mit Eigenkapital ausstatten, damit der Sozialwohnungsbau in den Kommunen nicht völlig zum Erliegen kommt.“
Die Wohnungs- und Immobilienunternehmen in Deutschland hatten erst unlängst Alarm geschlagen, dass Wohnungsunternehmen vor dem Hintergrund höherer Zinsen und Baupreise zuletzt reihenweise Projekte des bezahlbaren Wohnungsbaus absagen mussten (siehe „Hintergrund“).

Die Zahl der genehmigten bzw. fertiggestellten geförderten Mietwohneinheiten („Sozialwohnungen“) konnte die Bundesregierung auf Anfrage nicht nennen.

Der Deutsche Mieterbund sowie „Haus und Grund“ (04.11.2024) gehen allerdings von folgenden Zahlen aus: „Von den 2023 knapp 300.000 neu gebauten Wohnungen sind weniger als ein Drittel klassische Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel bezahlbare Sozialwohnungen.“ (siehe „Hintergrund“)
Das wären weniger als 30.000 neue, bezahlbare Sozialmietwohnungen in 2023.

Die Zahl der Sozialmietwohnungen in Deutschland ist mit rund einer Millionen auf einem Tiefststand angekommen. 1990 gab es in Deutschland noch annähernd 2,9 Millionen Sozialwohnungen (siehe „Hintergrund“).

„Kommunale Wohnungsgesellschaften können bei steigenden Zinsen und Baupreisen ohne ausreichend Eigenkapital kaum noch bauen – und schon gar keine preiswerten Mietwohnungen“, so die Abgeordnete Tatti: „Es braucht deshalb ein Sondervermögen, das von der Schuldenbremse ausgenommen ist – 100 Milliarden Euro für eine Million bezahlbare Wohnungen bundesweit.“ Das Geld müsse der Bund den kommunalen Wohnungsbaugesellschaften – strikt zweckgebunden – zur Stärkung des Eigenkapitals für den Bau von günstigen Mietwohnungen zur Verfügung stellen. Denn bundesweit fehlen rund eine Millionen Sozialwohnungen und nochmals rund 1,4 Millionen günstige Wohnungen für Familien, Singles und Menschen im Niedriglohnbereich (https://makroskop.eu/28-2024/wohnungsnot-die-kommunen-sind-der-schlussel-zur-losung/).
Dazu Tatti: „Es muss jetzt absolute Priorität haben, dass Menschen und Familien mit kleinen und mittleren Einkommen wieder leichter eine Wohnung finden.“

Laut dem Münchner Ifo-Institut könnte die Zahl der neu gebauten Wohnungen im Jahr 2026 auf nur noch 175.000 absinken, das wären dann über 40 Prozent weniger als die knapp 300.000 Wohnungen des Jahres 2022 (https://de.statista.com/infografik/29855/zahl-der-fertiggestellten-wohnungen-in-deutschland/). Bereits 2024 könnte die Zahl der Fertigstellungen auf unter 250.000 Einheiten fallen, so das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (www.tagesschau.de/wirtschaft/konjunktur/bauindustrie-jobs-wohnungsbau-100.html).

Jessica Tatti: „Die Investitionen in den kommunalen Wohnungsbau wären nicht nur notwendig, um den sozialen Frieden im Land zu sichern, sie würden auch Handwerk und Handel vor Ort stützen. Schließlich sind viele Kommunen wegen wegbrechender Steuereinnahmen bei konstant hohen Ausgaben schlicht nicht mehr in der Lage, Geld für den Wohnungsbau in die Hand zu nehmen.“


Hintergrund:

Die Deutsche Bauindustrie meldete am 26. September 2024:

„Der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen meldete, das seine Wohnungsunternehmen zuletzt reihenweise Projekte des bezahlbaren Wohnungsbaus absagen mussten. Wie eine Umfrage zeige, verschlimmere sich die Lage weiter: 2024 seien weitere 22 Prozent und 2025 sogar 38 Prozent der bereits eingedampften Neubaupläne nicht realisierbar. Über zwei Drittel der GdW-Wohnungsunternehmen würden in diesen beiden Jahren nach gegenwärtiger Lage gar keine Wohnungen mehr errichten können. Der Negativtrend betreffe auch den sozialen Wohnungsbau. 2024 könnten 16 Prozent, 2025 sogar 33 Prozent der ursprünglich geplanten Sozialwohnungen nicht gebaut werden.“

www.bauindustrie.de/zahlen-fakten/publikationen/brancheninfo-bau/baukonjunkturelle-lage

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Deutscher Mieterbund und Haus & Grund Deutschland fordern Kurswechsel für eine zukunftsfähige Wohnungspolitik (04.11.2024))

https://mieterbund.de/aktuelles/meldungen/mieterbund-und-haus-grund-deutschland-fordern-kurswechsel/

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Nach Prognosen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) nimmt der Bestand an Sozialmietwohnungen bis 2035 stetig ab, wenn nicht entschieden gegengesteuert wird:
1990:                                      annähernd 2,9 Millionen Sozialmietwohnungen
2023:                                      1,07 Millionen
2035 (IW-Prognose):             rund 550.000
www.iwd.de/artikel/sozialwohnungen-bauen-im-blindflug-606819/

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Nach Aussage der kommunalen GWG Tübingen (Geschäftsführer Uwe Wulfrath) wäre eine Ausstattung der kommunalen Wohnungsgesellschaften in Deutschland mit deutlich mehr Eigenkapital ein entscheidender Faktor zur Schaffung von bezahlbarem Mietwohnraum: Je mehr Eigenkapital, desto geringer die Lasten für Zins und Tilgung (die wiederum auf die Mieten umgelegt werden müssten). Ohne diese Kapitalspritze sei der Wohnungsneubau mit Kaltmieten von unter 20 Euro/Quadratmeter nicht machbar.
Beispielrechnung für Tübingen: Wohnbaukosten von rund 5000 Euro Quadratmeter Wohnfläche. Bei Zinsen von 3,5 % = 175 Euro/Jahr = 14,58 Euro/Monat nur für die Zinsen, hinzu kommen Tilgung, Rücklagen für Sanierung/Instandhaltung, Personal- und Verwaltungskosten = fast 24 Euro/Quadratmeter/Monat.

Jessica Tatti
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