In der Berliner Zeitung (22.08.) berichtete die Berliner Journalistin Aya Velázquez, die über einen Whistleblower die RKI-Protokolle bekommen hatte, davon, dass sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird – laut der Antwort auf ihre Anfrage unter der 2021 neu eingeführten Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Als Grund werden ein Social Media Post und ein journalistischer Artikel der Journalistin aus dem Jahr 2022 genannt (www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/aya-velazquez-auch-der-verfassungsschutz-konnte-die-rki-files-nicht-verhindern-li.2246782).
Dies nahm die BSW-Abgeordnete Jessica Tatti zum Anlass, bei der Bundesregierung nachzufragen: Wie viele Personen werden bzw. wurden nach Kenntnis der Bundesregierung unter der im Jahr 2021 neu eingeführten Kategorie „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ vom Bundesamt für Verfassungsschutz bzw. den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet – und wie viele dieser Beobachtungsvorgänge stehen bzw. standen nach Kenntnis der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Protestgeschehen gegen Corona-Schutzmaßnahmen bzw. der Corona-Pandemie?
In der Antwort aus dem Bundesinnenministerium heißt es:
„Im Berichtszeitraum 2023 waren dem Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘ bundesweit etwa 1.600 Personen (2022: 1.400) zuzurechnen.“ Die vom Verfassungsschutz beobachteten „Akteure“ würden „demokratische Entscheidungsprozesse und Institutionen verächtlich“ machen: „Diese Form der Delegitimierung erfolgt oft nicht über eine offene Ablehnung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Verächtlichmachung von und Agitation gegen demokratisch legitimierte Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates.“
Dazu Jessica Tatti: „Diese Definition lässt den Behörden einen extrem großen Interpretationsspielraum, das halte ich für hochproblematisch.“
Die unlängst nach dem Leak eines Whistleblowers veröffentlichten RKI-Files würden zeigen: „Was unlängst noch als Verschwörungstheorie oder Falschinformation diffamiert wurde, ist mittlerweile zumindest eine diskussionswürdige Position. Und genau davon lebt die Demokratie: von offener Debatte, dem Austausch kontroverser Argumente – und von unabhängigen, engagiert recherchierenden Journalisten, die Regierungshandeln kritisch hinterfragen.“
Besonders problematisch findet Tatti deshalb: „Dass offenbar auch Journalistinnen und Journalisten vom Verfassungsschutz wegen vermeintlicher ‚Delegitimierung des Staates‘ bespitzelt werden, ist kein gutes Omen für die Pressefreiheit in unserem Land. Journalisten dürfen nicht eingeschüchtert werden!“
Zudem heißt es in der Antwort des Innenministeriums: „Eine in der Fragestellung erfragte Zuordnung zum Corona Protestgeschehen kann (…) nicht erfolgen.“
„Das ist aber seltsam“, findet Tatti: Schließlich werde auf der Internetseite des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) nicht nur ausdrücklich Bezug zum „Protestgeschehen gegen Corona-Schutzmaßnahmen“ hergestellt, sondern die Einrichtung des neuen „PhänomenbereichsVerfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ im April 2021 deutlich in den Kontext jenes „Protestgeschehens gegen Corona-Schutzmaßnahmen“ gestellt:
„Die staatlichen Schutzmaßnahmen gegen die Coronapandemie und die damit einhergehenden Freiheitseinschränkungen lösten nicht nur eine breite gesellschaftspolitische Debatte und verfassungsrechtlich legitime Proteste aus, sondern dienten in einzelnen Fällen auch als Vorwand und Hebel, um die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung als solche zu bekämpfen. Um die in diesem Kontext festzustellenden Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen adäquat bearbeiten zu können, hat das BfV im April 2021 den neuen Phänomenbereich ‚Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates‘ eingerichtet.“ (www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates_node.html)