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Kleine Anfrage: Zeitsouveränität, Arbeitszeitflexibilisierung und Entgrenzung

Kleine Anfrage - Drucksache Nr. 19/10574

Ständige Erreichbarkeit, Multitasking, Arbeitshetze, Arbeitsverdichtung, häufige Überstunden und überlange Arbeitszeiten belasten die Zufriedenheit und die Gesundheit von Beschäftigten. Trotz dieser Belastungsfaktoren wollen wirtschaftsnahe Parteien das Arbeitszeitgesetz aufweichen. Unternehmen haben schon heute umfassende Möglichkeiten, die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten an den betrieblichen Bedarf anzupassen. Im Gegenzug sind Flexibilisierungsmöglichkeiten im Sinne der Arbeitnehmer rar gesät.

Hierzu liegt eine Antwort der Bundesregierung als Drucksache Nr. 19/11469 vor: Antwort als PDF herunterladen

 

Flexible Arbeitszeiten: Mitbestimmung statt Entgrenzung!

Kleine Anfrage Jessica Tatti u. a. (LINKE), BT-Drs. 19/10574 „Zeitsouveränität, Arbeitszeitflexibilisierung und Entgrenzung“

Kurzzusammenfassung
Rund die Hälfte aller Beschäftigten arbeitete 2017 in flexiblen Arbeitszeitmodellen. Dabei können 49 Prozent der Beschäftigten die Anfangs- und Endzeiten ihres Arbeitstages selbst bestimmen. Das trifft vor allem auf Beschäftigte zu, die über eine hohe Qualifikation beziehungsweise ein hohes Einkommen (über 4.500 Euro) verfügen oder in der IKT–Branche arbeiten (Frage 7). Regelungen zu Vertrauensarbeitszeit gibt es inzwischen in fast 30 Prozent aller Betriebe und betrifft sechs Millionen Beschäftigte; auch hier liegt die IKT-Branche weit über dem Durchschnitt (Frage 3).
Flexible Regelungen zu Arbeitszeit und Arbeitsort gehen oft mit einer höheren Belastung einher. Gerade bei Vertrauensarbeitszeit wird tendenziell länger gearbeitet und es herrscht ein größerer Termin- und Leistungsdruck als in festen Arbeitszeitmodellen (Frage 13). Auch mit Mobilität und Ortsflexibilität steigt das Risiko für Arbeitsintensivierung, Stress und längere Arbeitszeiten. Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen (Frage 12). Wenn Beschäftigte in der Freizeit häufig vom Arbeitgeber kontaktiert werden, geht das mit einer signifikanten Verschlechterung ihrer Gesundheit einher (Frage 9). Zwei Drittel der Beschäftigten, die moderne IKT nutzen und häufig in der Freizeit kontaktiert werden, leiden unter Müdigkeit und Erschöpfung, mehr als die Hälfte klagt über Rückenschmerzen; bei den Beschäftigten ohne Kontaktierung sind es signifikant weniger (ebd.). Die gesundheitlichen Beschwerden sinken allerdings mit der Qualifikation und dem Einkommen (ebd.). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die negativen Effekte flexibler Arbeit durch einen großen eigenen Handlungsspielraum und ein hohes Maß an Selbstbestimmung abgeschwächt werden können (Frage 12).

Mein Kommentar zu den Ergebnissen

„Arbeitsverdichtung und Arbeitshetze nehmen auch durch die Digitalisierung seit Jahren zu. Immer mehr Beschäftigte sind überlastet. Flexible Arbeitsmodelle können schnell zur Burnout-Falle werden, wenn die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben verschwimmen. Arbeitgeber, die von ihren Beschäftigten permanente Erreichbarkeit fordern, setzen deren Gesundheit leichtfertig aufs Spiel.

Flexible Arbeitszeitmodelle wie Vertrauensarbeitszeit oder Homeoffice, die bei Führungskräften funktionieren können, dürfen nicht eins zu eins auf alle Beschäftigten übertragen werden. Die Forderungen der Arbeitgeberverbände nach allzeit verfügbaren Arbeitskräften sind strikt abzulehnen. Arbeit darf nicht krank machen! Stattdessen brauchen wir für die Beschäftigten endlich eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte bei der Länge und Lage der Arbeitszeiten.“

Jessica Tatti