Jessica Tatti
MdB
Auswertung der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Probleme afghanischer Ortskräfte bei der Einmündung in den Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende“ (BT-Drs. 20/1510, 20/1803) von Jessica Tatti u.a. und der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

Die Ergebnisse der Kleinen Anfrage BT-Drs. 20/1510 im Überblick:

  • Eingereiste afghanische Ortskräfte (Frage 1):

Seit Mai 2021 (bis 2.05.2022) reisten ca. 16.000 ehemaligen afghanische Ortskräfte einschließlich ihrer Angehörigen ein. Wie viele davon im SGB II-Bezug sind, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

  • Status der „Verfahrensinformation“ des BMAS (Frage 2-3):

Die Verfahrensinformation ist zwischen BMAS und BA abgestimmt Sie ist gültig.
Die BA teilt die darin vertretene Rechtsauffassung des BMAS.

  • Geltung des Anspruches auf Leistungen ins SGB II
    (Rückwirkung des Antrages auf SGB II-Leistungen) (Fragen 4-6):

Die Bundesregierung vertritt die Rechtsaufsicht, dass Anträge auf Leistungen nach dem SGB II auf den Monatsersten des Antragsmonats zurückwirken (§ 37 Abs. 2 SGB II). Erfolgte die Einreise erst nach dem Monatsersten des Antragsmonats, wirkt der Antrag auf das genaue Einreisedatum zurück.

Es wird darauf verwiesen, dass die BA am 30. August in Absprache mit dem BMAS die Jobcenter (gE), in deren örtlicher Zuständigkeit sich Erstaufnahmeeinrichtungen befinden, darüber informierten, dass diese durch Präsenz von Mitarbeitern in den Erstaufnahmeeinrichtung sicherstellen sollen, dass Anträge gestellt werden müssen, um Ansprüche zu sichern.

Ob dies umgesetzt wurde, ist der Bundesregierung nicht bekannt.

  • Fragen der Krankenversicherung (Frage 7):

Eine Aufnahme der ehemaligen Ortskräfte und ihrerer Angehörigen in eine gesetzliche Krankenkasse ist für den Zeitraum des tatsächlichen SGB II-Leistungsbezugs verpflichtend. Gesundheitsleistugen würden damit auch rückwirkend (Anmerkung MT: bis Monatsanfang der Antragsstellung auf SGB II-Leistungen) abgerechnet.

Die Regionaldirektionen der BA wurden am 31.08.2021 gebeten, für ein schnelles Eintreten der Voraussetzungen zu sorgen (Kommentar MT: Unklare Aussage). Grundsätzliche Probleme seien der Bundesregierung nicht bekannt (Kommentar MT: Das lässt offen, ob und falls ja, bei wie vielen konkreten Fällen Probleme aufgetaucht und bekannt sind…)

Hintergrund

Anfang April trat ein ehrenamtlicher Helfer ehemaliger afghanischer Ortskräfte mit der Bitte um Unterstützung an uns heran.

Er berichtete, dass sich in einem Kölner Jobcenter das Aufnahmeverfahren ins SGB II verändert habe. Während früher entsprechend einer Verfahrensinformation des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales aus dem August 2021 (verfügbar z.B. über https://www.ggua.de/fileadmin/downloads/sgb_II/Info_afghansiche_Ortskraefte.pdf)  gehandelt wurde, habe sich dies zuletzt geändert.

Laut der Verfahrensinfo haben ehemalige afghanische Ortskräfte und ihre Angehörigen ab Einreise einen Anspruch auf Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende, sofern sie die allgemeinen Voraussetzungen erfüllen, auch bereits während der ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland.

Nun werde im Jobcenter erst ab Datum der Antragstellung bewilligt. Dies bringe Probleme für die betroffenen Ortskräfte. Es komme zu Verzögerungen und Problemen mit den Krankenversicherungen, zu Lücken in der Versorgung mit Mitteln zur Existenzsicherung. Nicht alle Ortskräften sei bekannt, dass sie bereits in den Erstaufnahmen formlose Anträge auf SGB II-Leistungen stellen müssten, um nahtlos versorgt zu werden.

Der ehrenamtliche Helfer bat uns um die Klärung, ob dieser Vorgehenswechsel des Kölner Jobcenters auf eine bundesweite Änderung der Vorgehensweise zurückzuführen sei oder ein Kölner „Spezialrecht“ darstelle. Unklar sei, ob die Verfahrenshinweise des BMAS weiterhin Gültigkeit besäßen und ob die Jobcenter – zumindest die Jobcenter in gemeinsamer Verantwortung von Kommunen und der Bundesagentur für Arbeit – daran gebunden seien. Dem Problem sind wir mit der Kleinen Anfrage gerne nachgekommen.

Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung

Der Bundesregierung ist nicht bekannt, wie viele der bisher rund 16.000 nach Deutschland eingereisten ehemaligen afghanischen Ortskräften inklusive ihrer Angehörigen Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) bezogen bzw. beziehen.

Anträge auf SGB II-Leistungen würden auf den Monatsersten des Antragsmonats zurückwirken, frühestens aber auf den Tag der Anreise, falls dieser nach dem Monatsersten des Antragsmonats liegt. Diese Rückwirkung gelte auch für den Krankenkassenschutz. Die BA habe die Jobcenter (nur gemeinsame Einrichtungen), in denen Erstaufnahmestellen liegen, am 30. August gebeten, durch Präsenz von Mitarbeitern in den Erstaufnahmestellen dafür zu sorgen, dass die Anträge auch zeitnah gestellt werden. Ob dies geschehe, wisse die Bundesregierung nicht. (Eine ausführlichere Zusammenfassung siehe Seite 3.)

Bewertung der Antwort der Bundesregierung

Wenn das Jobcenter Köln erst ab Antragsdatum Leistungen bewilligt, dann deckt sich nach der Auskunft der Bundesregierung weder mit den Verfahrenshinweisen, noch mit der gesetzlichen Lage, die eine rückwirkende Geltung des Hartz IV-Leistungsanspruches auf den Monatsersten des Antragsmonats (aber maximal rückwirkend auf das Einreisedatum) vorsieht.

Offen bleibt auch nach der Anfrage, ob und wie intensiv die Jobcenter, in deren örtlichen Zuständigkeitsbereich Erstaufnahmeeinrichtungen befinden, vor Ort die eingereisten ehemaligen Ortskräfte und ihre Angehörigen tatsächlich informieren und wie nachdrücklich und dringend zu einem Antrag auf SGB II-Leistungen noch im Einreisemonat geraten wird. Der Hinweis der BA an die Jobcenter kam sehr spät, für viele Eingereiste vielleicht zu spät.

Ein Antrag auf SGB II-Leistungen ist übrigens sehr einfach zu stellen, da er an keine Form gebunden ist – im Prinzip reicht es, einem Mitarbeiter des Jobcenters zu sagen, dass Leistungen beantragt werden. Alles andere – Formulare, Nachweise etc. – ist nicht Teil der Antrags, sondern Teil der Antragsbearbeitung und kann später nachgeholt werden.

Wurde im Einreisemonat kein Antrag auf SGB II-Leistungen gestellt, wird es für die Betroffenen sehr schwer. Nur bei einem Nachweis, dass ein Antrag nicht gestellt wurde, weil von einem Mitarbeiter eines Jobcenters falsch oder mangelhaft beraten wurde, wäre hier noch eine rechtliche Möglichkeit auf eine monatsübergreifende Rückbewilligung gegeben. Dies ist allerdings ein aufwändiges Verfahren, für das anwaltliche Beratung und Vertretung unerlässlich ist.

 

Mein Kommentar zu den Ergebnissen:

„Ehrenamtliche Helfer berichten von Jobcentern, die ehemaligen afghanischen Ortskräften und ihren Familienangehörigen Probleme bei der Erstbeantragung von Hartz IV-Leistungen bereiten. Das ist ein denkbar unfreundlicher Start für Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, weil sie für westliche Interessen in Afghanistan eintraten.

Unsere Anfrage stellt klar, dass Anträge auf Hartz IV auch für ehemalige Ortskräfte immer auf den Monatsersten der Antragstellung zurück wirken – wie bei allen anderen Antragsstellern auch. Sollte es Fälle geben, bei denen erst ab Antragsdatum Leistungen bewilligt werden, wäre das völlig absurd.

Falls Helfern solche Fälle bekannt werden, sollte zu schnellen Widersprüchen geraten werden. Vor allem in den Erstaufnahmeeinrichtungen muss darauf geachtet werden, dass noch im Einreisemonat zumindest ein einfacher Antrag beim Jobcenter gestellt wird. Sonst droht eine bittere Lücke bei Geldleistung und der Krankenversicherung. So darf ein Neustart in Deutschland nicht aussehen!“

Jessica Tatti, MdB, Sprecherin für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag

Jessica Tatti
Deutscher Bundestag

Platz der Republik 1
11011 Berlin

Astrid Nürnberg
Büroleiterin
Tel.: +49 30 227-79046
E-Mail: jessica.tatti@bundestag.de


Wahlkreisbüro
Karlstraße 16 (Eingang Mauerstraße)
72764 Reutlingen

Marc Gminder
Wahlkreismitarbeiter
Tel.: +49 (0)7121-5509911
E-Mail: jessica.tatti.wk@bundestag.de