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Kleine Anfrage: Mobile Arbeit

Kleine Anfrage - Drucksache Nr. 19/9114

Im Gegensatz zum „Homeoffice“ ist mobile Arbeit ortsungebunden und häufig mit räumlicher Mobilität verbunden. Das kann Beschäftigten mehr räumliche und zeitliche Gestaltungsfreiheit ermöglichen, aber auch zu neuen physischen und psychischen Belastungen führen. Die Verantwortung für Arbeits- und Gesundheitsschutz wird bei mobiler Arbeit nach derzeitiger Rechtslage praktisch auf die Arbeitnehmer*innen verlagert. Mobiles Arbeiten birgt zudem ein hohes Risiko der interessierten Selbstgefährdung.

Hierzu liegt eine Antwort der Bundesregierung als Drucksache Nr. 19/9797 vor. Antwort als PDF herunterladen

Mobile Arbeit: Überlange Arbeitszeiten, viele Überstunden, zu wenig Pausen

Kleine Anfrage Jessica Tatti u. a. (LINKE), BT-Drs. 19/9114 zu „Mobile Arbeit“

Hintergrund

Die Themen „Mobile Arbeit“ und „Home-Office“ stehen aktuell auf der politischen Tagesordnung. Auffällig ist, dass die Begriffe, vor allem der der „mobilen Arbeit“ völlig unterschiedlich mit Inhalten belegt werden. Während für die einen „mobile Arbeit“ Arbeit von unterwegs aus (Arbeitswege, Dienstreisen u. ä.) ist, bezeichnen andere damit die Arbeit von zu Hause aus (oft auch Home-Office genannt, rechtlich: Tele(heim)arbeit). Durch diese Begriffsschwäche werden die jeweils spezifischen Möglichkeiten und Probleme verwischt und unklar. Ein Beispiel dafür ist, dass im Homeoffice ein fester, ergonomischer Bildschirm-arbeitsplatz eingerichtet werden kann, während das z. B. während einer Zugreise mit dem Laptop nicht der Fall ist. Der KA wurde daher von uns eine Klarstellung vorausgeschickt, um präzise Antworten von der Bundesregierung zu erhalten:

Mobile Arbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie weder an das Büro noch an den häuslichen Arbeitsplatz gebunden ist. Im Gegensatz zur klassischen Telearbeit ("Home Office") ist der Arbeitsort von mobil Arbeitenden flexibel. Beim Home Office arbeiten Beschäftigte an einem festen Arbeitsplatz zu Hause, der vom Arbeitgeber eingerichtet und bezahlt wird und der den Bestimmungen der Arbeitsstättenverordnung unterliegt. Der wöchentliche Umfang der Telearbeit ist im Arbeitsvertrag oder im Rahmen einer Vereinbarung geregelt. Mobile Arbeit wird mit dem Laptop, Tablet oder Smartphones unabhängig von festen Arbeitsplätzen und Arbeitszeiten "von unterwegs aus" verrichtet. Das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt "prentimo" definiert mobile Arbeit als Arbeit, die "in erheblichem Maße mit räumlicher Mobilität einhergeht. Die Arbeit wird an verschiedenen Orten - unter Nutzung mobiler Endgeräte - erbracht" (vgl. Breisig, Grzech-Sukalo, Vogl (2017): Mobile Arbeit gesund gestalten - Trendergebnisse aus dem Forschungsprojekt prentimo - präventivorientierte Gestaltung mobiler Arbeit).“

Kurzzusammenfassung

Die Bundesregierung weist bereits in der Vorbemerkung eine differenzierte Darstellung, die die Heimarbeit von mobiler Arbeit differenziert, zurück: „Unter dem Begriff mobile Arbeit kann eine Vielzahl ortsflexibler Arbeitsmodelle zusammengefasst werden. So umfasst die mobile Arbeit neben Telearbeit oder Homeoffice, z. B. auch das Arbeiten von unterwegs oder Dienstreisen. Darüber hinaus ist das mobile Arbeiten bei vielen Berufen Bestandteil der Arbeitsaufgabe, wie z.B. im Fall von Personen im Logistikbereich, Personen- oder Fahrgast-beförderung, Schiffs- und Flugpersonal, mobilen Servicetätigkeiten und ambulanten Diensten. Diese Komplexität erschwert eine einheitliche Definition, wie auch verlässliche Angaben zur Verbreitung mobiler Arbeit.“
Aus unserer Sicht interessante Erkenntnisse unter der genannten Einschränkung:
Die tatsächliche Wochenarbeitszeit von Beschäftigten mit überwiegend mobiler Arbeit beträgt bei 75 Prozent mind. 40 Stunden (mit überwiegend festem Arbeitsplatz: 47 Prozent), bei 26 Prozent (mit überwiegend festem Arbeitsplatz: 9 Prozent) gar über 48 Wochenstunden (Frage 8).

Beschäftigte mit mobiler Arbeit machen seltener weniger als zwei Überstunden (44 vs. 55 Prozent), dafür häufiger 5 oder mehr Überstunden (33 vs. 20 Prozent) im Vergleich zu Beschäftigten mit überwiegend festem Arbeitsort (Frage 10).
Beschäftigte mit mobiler Arbeit halten seltener die gesetzlich vorgeschriebenen Pausen ein (66 vs. 74 Prozent), verkürzen eher die vorgeschriebenen Ruhepausen zwischen den Arbeitstagen (mind. 1x im Monat: 30 vs. 14 Prozent) und werden häufiger aus arbeitsbezogenen Gründen im Privatleben kontaktiert (16 vs. 10 Prozent) im Vergleich zu Beschäftigten mit überwiegend festem Arbeitsort (Frage 23).

Beschäftigte mit mobiler Arbeit können häufiger eher schlecht abschalten (28 vs. 23 Prozent) im Vergleich zu Beschäftigten mit überwiegend festem Arbeitsort (Frage 24).

Bewertung

Die undifferenzierte Erfassung verschiedener Phänomene – nach der gegebenen Definition der Bundesregierung und der BAuA arbeiten Menschen im gut ausgestatteten Home-Office ebenso mobil wie Manager im Flugzeug oder Bauarbeiter auf der Baustelle – macht eine Bewertung des Stands der mobilen Arbeit in der Praxis schwer. Konkrete, evidenzbasierte Probleme, Chancen und Handlungserfordernisse lassen sich kaum ableiten, vielmehr kann mit vielen der präsentierten Zahlen alles und nichts belegt werden.
Die Zahlen der Bundesregierung belegen, dass Beschäftigten mit mobiler Arbeit häufiger von überlangen Arbeitszeiten betroffen sind. Sie arbeiten eher am Wochenende, machen seltener die gesetzlich vorgeschriebenen Ruhepausen während der Arbeit und zwischen den Arbeitstagen. Sie können auch ehr schlecht von der Arbeit abschalten.

Tägliche Arbeitszeiten über acht und insbesondere über zehn Stunden hinaus gehen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, sicherheitsbezogenen Risiken und Einschränkungen bei der Leistungsfähigkeit einher (BAuA (2017): Ort- und zeitflexibles Arbeiten: Gesundheitliche Chancen und Risiken). Durch die bei mobiler Arbeit üblicherweise fehlenden zeitlichen Vorgaben und die mangelnden Kontrollmöglichkeiten durch den Arbeitgeber, kommt es zu einer „Individualisierung des Gesundheitsschutzes: Die Einhaltung von Arbeits- und Gesundheitsschutz wird den Beschäftigten überantwortet. Das Arbeitsschutzgesetz, das den Arbeitgeber verpflichtet, für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu sorgen, verliert so an praktischer Bedeutung“ (Breisig, Grzech-Sukalo, Vogl).
Mobiles Arbeiten birgt damit das Risiko der "interessierten Selbstgefährdung" (ebd.).

Mein Kommentar zu den Ergebnissen

„In der derzeitigen Debatte um „Arbeit 4.0“ und mobile Arbeit werden immer „Chancen“ hervorgehoben, die sich insbesondere für die Beschäftigten ergeben würden. Aber: Wenn Arbeitgeberverbände im Zuge der Digitalisierung von Flexibilität reden, meinen sie in erster Linie ihr Interesse an allzeit verfügbaren Arbeitskräften. Die Zahlen der Bundesregierung zeigen, die Folgen mobiler Arbeit überlange Arbeitszeiten, Überstunden und Pausenausfälle sind. Immer mehr Beschäftigte werden durch die hohe Arbeitsintensität stark belastet und krank.
Mobiles Arbeiten und Homeoffice müssen freiwillig bleiben und dürfen nicht im rechtsfreien Raum auf dem Rücken der Beschäftigten eingeführt werden. Der Arbeitsplatz im Betrieb muss erhalten bleiben, damit Beschäftigte jederzeit ihre Entscheidung selbstbestimmt ändern können. Homeoffice und mobile Arbeit sind nur eine Ergänzung zum festen Arbeitsplatz im Betrieb.“

MdB Jessica Tatti, Sprecherin für Arbeit 4.0 der Fraktion DIE LINKE im Bundestag